Notlicht und Schweinegrunzen

Absolut finster: Ein überragender Peter Bause in Thomas Bernhards »Der Theatermacher« an den Hamburger Kammerspielen

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Notlicht und Schweinegrunzen
Absolut finster: Ein überragender Peter Bause in Thomas Bernhards »Der Theatermacher« an den Hamburger Kammerspielen
Von Eileen Heerdegen

»Du blöde F*(zensiertes F-Wort)!« Eher flüsternd und verschämt erzählt die Kollegin von einem telefonischen Zusammentreffen mit dem weltberühmten Theatermacher, dem sie eine schlechte Nachricht bezüglich irgendwelcher Extras überbringen musste. Ich habe solche Szenen auch selbst live bei Theaterproben erlebt, in den 90ern war »Me Too« noch weit entfernt. Hat sich seither mehr als der Flüsterton verändert?

»Stört Sie die Frauenfeindlichkeit nicht?«, überrascht mich der NDR-Reporter nach der Premiere. Das kann man nach einem Mario-Barth-Abend fragen (oder es besser lassen), aber doch nicht nach der schonungslosen, demaskierenden Darstellung eines misogynen despotischen Theatermachers in der gleichnamigen Komödie von Thomas Bernhard.

Neben real existierenden habe ich auch zwei Bernhardsche »Theatermacher« erlebt. Den zweiten in Wien schon wieder vergessen, der wunderbare Ulrich Wildgruber als »Staatsschauspieler Bruscon« 1992 im Hamburger Schauspielhaus aber auf ewig präsent. Nun also der fast 81jährige DDR-Schauspielstar Peter Bause in den Hamburger Kammerspielen.

»Als ob ich es geahnt hätte! – Hier in dieser muffigen Atmosphäre …« Ich fühle mich ertappt, ja schuldig, als säße ich in diesem »Nest« Utzbach, als sei ich Utzbach, möchte mich fast für die trostlose »Kulturlosigkeit« entschuldigen bei dem hochgewachsenen alten Mann auf der Bühne, der mit fest entschlossener Verachtung hinunterschaut. Ich schiele zum Notlicht, ich muss es nicht ahnen, ich weiß, was kommt: »In meiner Komödie hat es am Ende vollkommen finster zu sein. Auch das Notlicht muss gelöscht sein, vollkommen finster, absolut finster!«

1972 Uraufführung »Der Ignorant und der Wahnsinnige«: Autor Thomas Bernhard und Regisseur Claus Peymann bestehen auf zwei Minuten absoluter Dunkelheit. Nachdem zur Premiere das Licht brennt, fallen alle weiteren Vorstellungen aus. Bernhard: »Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus.«

Es spricht für den großen Grantler Bernhard, dass er sich bei seinem Rundumschlag gegen die Österreicher, »sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige«, wohl zumindest im zweiten Punkt nicht ausnimmt. Denn die im zwölf Jahre später entstandenen Stück »Der Theatermacher« obsessiv-diktatorisch vorgetragene Forderung nach der gesetzeswidrigen Ausschaltung der Notbeleuchtung ist zentrales Element der absurden Geschichte um das kleine Tourneetheater des selbsternannten »größten Schauspielers aller Zeiten«, Bruscon, der mit Ehefrau, Sohn und Tochter »Das Rad der Geschichte« aufführen will. Behindert wird er von Gestank und Schweinegrunzen in »abscheulichen Nestern«, »stumpfsinnigen Orten mit stumpfsinnigen Menschen, Dummköpfen, Analphabeten«, aber vor allem durch seine Familie. »Alles Antitalente« – »Wenn Sie wüssten, was es mich gekostet hat, meiner Frau die primitivsten Grundregeln des Theaterspielens beizubringen. Jede Selbstverständlichkeit ein Martyrium auf Jahre.«

Meine Befürchtung, kein Schauspieler könne neben dem großen Wildgruber bestehen, war von der ersten Minute an gegenstandslos. Peter Bause erinnert mich an meinen Vater, der auch aus Thüringen stammte. Die gleiche, kaum noch wahrnehmbare Sprachfärbung, das volle, etwas wirre weiße Haar, die enttäuscht hängenden Mundwinkel, der desillusionierte, ins Leere gerichtete Blick und das vollkommene Unverständnis, wenn jemand nicht so und nicht für das Gleiche brannte wie er selbst. Dass Bause nur spielt, ist fast vergessen, sobald er die Bühne betritt.

»Wenn wir ehrlich sind, ist das Theater an sich eine Absurdität.« Vielleicht. Aber in diesem Fall sehr gelungen und vergnüglich. Standing Ovations für einen großartigen Peter Bause, aber auch für den überzeugend unbeholfenen Wirt Alexander Klages und Jessica Kosmalla, die gleich mehrfach, als Tochter, Sohn und hustende Mutter überzeugen musste und konnte.

Ein Extrapunkt geht an Kostümbildnerin Birgit Voß fürs Vivienne-Westwood-Outfit beim Schlussapplaus. Ich habe nicht auf die Schuhe geachtet, sie waren sicher schwarz. »Und du ziehst als Lady Churchill die roten Schuhe an. Du glaubst, ich sehe das nicht. In Gaspoltshofen hattest du die schwarzen an. Die Lady Churchill in meiner Komödie hat rote Schuhe an, keine schwarzen. Das ist von größter Wichtigkeit.«