Pirouetten auf dem Rübenacker

»Hader on Ice« – der österreichische Kabarettist und Schauspieler Josef Hader entlarvt Europas enges Herz.

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Pirouetten auf dem Rübenacker
»Hader on Ice« – der österreichische Kabarettist und Schauspieler Josef Hader entlarvt Europas enges Herz
Von Eileen Heerdegen

»Hader on Ice« – der Titel suggeriert Familienunterhaltung vergangener Jahrzehnte mit dicken Zwergerln, Weihnachtsmännern und Bambis auf Kufen. Stattdessen – im Stadtsaal Wien – ein nichts Gutes verheißender Glitzervorhang und ein typischer Barhocker. Zu alt, um das Leben ohne Alkohol ertragen zu können, zu jung, um sich einfach gehenzulassen.

Josef Hader trinkt CO2-neutralen Segelrum aus der Karibik und erzählt von Buchprojekten (der große Coronaroman und das Kochbuch »Die Küche in der Lagune auf der Basis von langkettigen Kohlenhydraten«), plaudert vom barocken Pfarrhof im Weinviertel, den er renovieren lässt, weil es nicht mehr sein Wien ist. »Alle sitzen in den Gastgärten, ha’m die Papp’n offen, lachen. Früher hast gehört Auto und Bim, sonst war Totenstille. Wenn wer unbedingt was sagen musste, dann kurz und unfreundlich. Die berühmte Wiener Unfreundlichkeit, aus aller Welt sind die Touristen gekommen, um dieses Naturschauspiel zu bewundern.«

Meine Mutter kann das bestätigen. »Frittaten san Frittaten«, so die legendäre Antwort eines Kellners auf ihre Frage nach den Zutaten der berühmten Suppe. Josef Hader fasst es so zusammen: »Wer zu feig’ war für eine Domina, ist ins Kaffeehaus gegangen, hat sich vom Ober demütigen lassen und ein hohes Trinkgeld gegeben.«

Der Vergleich passt, denn spätestens seit Luis Buñuels Film »Belle de Jour« wissen wir, dass Herren selbst bestimmen, wie und von wem sie sich demütigen lassen. Sicher nicht vom Billeteur der Kleinkunstbühne, der den Künstler nicht erkennt, ihm gar den Eintritt verweigern will, dieser »Ethnologiestudent im 14. Semester, fast bewusstlos vor lauter Work-life-balance und mit Dutt!«

»Sich in einen Wirbel reden« – ein schöner österreichischer Ausdruck und genau das, was Hader perfekt beherrscht. Vom Flachwitz über den gelungenen Gag mitten ins Grauen, wenn der fünfjährige Seppi aus lauter Angst vorm Nikolaus betend unterm Küchentisch sitzt. Wenn die Pirouetten nicht »on ice« sind, sondern im genüsslichen ins Absurde hinein Sudern über die »gschissenen Rübenacker des Weinviertels, die gespenstische Gegend mit 90 Prozent ÖVP-Wählern, ein vergessenes Zwergenvolk mit nitratverseuchtem Grundwasser und Kindern mit Riesenwasserschädeln«. Was ist schlimmer: die rückständige Provinz – »da gibt’s nix außer billigem Alkohol« – oder die kolonial-überhebliche Sicht auf diesen sanfthügeligen Sehnsuchtsort von 450-PS-Diesel-Hybrid-SUV-Besitzern (»teuer, aber wir haben nur diesen einen Planeten«)?

Zum Glück haben wir auch den Jimmy, den fröhlichen nigerianischen Bettler, der einem für einen Euro (»mister, have a nice day«) für den ganzen Tag ein gutes Gefühl gibt. Die Rumänen hingegen sind »zu exaltiert, Schädel auf’m Asphalt, da kommt keine Stimmung auf«. Und Jimmy führt schließlich zur Lösung des Flüchtlingsproblems: Wiedereinführung der Sklaverei. Vorteil – die wenigen, die dann noch kommen, »sind nicht enttäuscht und perfekt geschützt, denn nichts ist bei uns so geschützt wie das Eigentum«.

Josef Hader, der 61jährige Bauernsohn aus der oberösterreichischen Provinz ist ein facettenreicher Schauspieler (er war der Detektiv Brenner in den Wolf-Haas-Verfilmungen, aber auch Stefan Zweig in »Vor der Morgenröte«), der die Balance zwischen der Bühnenfigur und dem echten Josef so geschickt hält, dass man nur ahnen kann, wieviel tatsächliche Verzweiflung den Künstler antreibt, wenn er über eingeschlafene Beine, Arterienverkalkung und Angina pectoris schließlich darauf kommt, dass es nicht in der Brust eng wird, sondern im Herzen. Und zwar in ganz Europa. Aber wie sagt er zu seinem Freund Rudl, dem Wolf in ihm und uns allen, »Hör auf mit diesem Kleinen-Prinzen-Scheißdreck, mit dem Herzen sieht man gar nichts.« – »Am Schluss liegst da wie als Baby mit angeschissenen Windeln, aber mit dem Unterschied, dass dich niemand mehr liebt.«

Und trotzdem am Ende »Somewhere over the rainbow« – Hoffnung ist kein Scheißdreck.