Singen im dunklen Wald

15 Jahre später: »Love Songs« von Peter Fox

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Singen im dunklen Wald
15 Jahre später: »Love Songs« von Peter Fox
Von Eileen Heerdegen

Altern ist nicht schön. Schon gar nicht in einer Zeit, in der die (gesellschafts-)politische Entwicklung in eine Richtung geht, die ein Mensch mit Bewusstsein und Lebenserfahrung nur noch als verstörend empfinden kann.

Pierre Baigorry aka Peter Fox ist ein politischer Mensch, unter anderem Mitbegründer eines Klimapodcasts für Kinder, und so konnte sein am 26. Mai erschienenes zweites Soloalbum sicher nicht sein, was manche Kritiker darin sehen wollen: leicht, lässig oder gar hoffnungsvoll. Der Mann ist kein Idiot, daher war auch sein Debüt »Stadtaffe« (2008) niemals leicht, sondern ein fulminantes Werk, das die Dancehall-Reggae-HipHop-Vergangenheit (und Gegenwart) des Seeed-Frontmannes nicht verleugnete, aber mit ungewöhnlichen Arrangements und Ideen zu einem überraschenden und äußerst erfolgreichen Kunstwerk geriet.

»Hoffnungsvoll«, das hätte ich damals für die reflektierten Texte gern gelten lassen, doch schon der Titel des aktuellen Albums, »Love Songs«, kann nur trotzig gemeint sein. Der Opener »Ein Auge blau« beschreibt das Scheitern des mittlerweile 51-Jährigen. Der »Family man«, für den jetzt »Patchwork« angesagt ist – vom Haus am See, in dessen Garten er sich vor 15 Jahren noch als zukünftig Weißbärtiger mit Enkeln gewünscht hat, sind eine Schachtel Ibuprofen und eine Beißschiene gegen nächtliches Zähneknirschen geblieben.

Musikalisch der Track, der am ehesten an das vorherige Album anknüpft, auch wenn Vergleiche wegen des damals speziellen Sounds mit dem Babelsberger Filmorchester schwierig sind. Statt dramatischer Streicherorgien und akzentuierter Drums setzt »Love Songs« eher auf Effekte und Geräusche wie glucksende Wassertropfen oder Klatschen, auf Chöre und Rhythmuswechsel (und einen Gastauftritt des 85-Jährigen Adriano Celentano), bleibt dabei aber leider in einer gewissen Gleichförmigkeit stecken.

Dass die gebremste Energie nicht als leicht-lässige Hintergrundmusi zur Sommerparty am Badesee oder auf der Dachterrasse missverstanden werden sollte, sondern Ernüchterung, ja Trauer transportiert, blitzt immer mal wieder auf. »Es gibt keinen Regen in Dubai« ist sicher nicht chillig und schon gar nicht sehnsüchtig nach dem »blue sky«, sondern eine klare Abrechnung mit der lebensfeindlichen Realität des propagierten Life­styletraums. In »Celebration« verwirrt der deutsch-ghanaische Musiker Benji Asare aus Hamburg mit ungewöhnlicher Stimme, er singt: »Tanze wie ein Alien zwischen Welten. / Tanz’ an dir vorbei.« Und Peter Fox endet mit: »Der Vorhang zwischen uns schließt sich. / Ich wink’ euch zu, ihr hört nicht, wie ich ruf’. / Die Fluten über mir sind riesig. / Ich bin per du mit Amanojaku.« Letzterer ist übrigens ein böser Himmelsgeist, ein menschenfressender Dämon der buddhistischen Welt.

Dass dem »Dancehall-Caballero«, der seit Jahrzehnten als Mitglied des in jeder Hinsicht vielfarbigen Bandprojekts Seeed den Kulturenmix feiert, »kulturelle Aneignung« vorgeworfen wurde, kann hier schon aus Platzgründen nicht kommentiert werden. Die Kritik, dass »Zukunft Pink« den südafrikanischen Amapiano-Rhythmus verwerte, führte jedenfalls dazu, dass der Song nicht programmatisch das Album anführt, sondern nun den Schlussakkord setzt. Dramaturgisch der perfekte Platz, eine Zusammenfassung des Werks mit ein paar deutlichen Aussagen, »Elon Musk, fick dein Marsprojekt«, »Tax me now, I’m a rich motherfucker«, und dieser Art verzweifelter Hoffnung, die Kinder laut singend im dunklen Wald haben. »Alle malen schwarz, ich seh’ die Zukunft pink. / Wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind.« Und wenn auch das Singen nicht mehr hilft, können wir’s uns vielleicht schöntrinken: »Dazu ein Drink. / Eis, Pink Grapefruit und Gin. / Weil wir die Zukunft sind, seh’ ich die Zukunft pink.«