Kein schöner Ort

Die Bühnenadaption des Wiener Burgtheaters von Maria Lazars »Die Eingeborenen von Maria Blut« beim Theatertreffen in Berlin

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Kein schöner Ort

Die Bühnenadaption des Wiener Burgtheaters von Maria Lazars »Die Eingeborenen von Maria Blut« beim Theatertreffen in Berlin

Von Eileen Heerdegen

»Die Madonna soll uns helfen, niemand kann’s, wenn’s die nicht kann«. In André Hellers »Angstlied« werden sie beschrieben, katholische »Kinderhöllen«, Spiralen aus Angst und Erlösung. Ich habe als Achtjährige erfundene Sünden gebeichtet, in der Hoffnung auf Vergebung für irgendwas, auf der Suche nach Schutz.

Eine kleine Gruppe lachsrosa gekleideter Menschen drängt sich unter das blaue Tuch einer beeindruckenden Schutzmantelmadonna, die, flankiert von zwei ebenfalls gigantischen, symmetrisch angeordneten Engeln, die Bühne (Jessica Rockstroh) und das Leben im fiktiven Wallfahrtsort Maria Blut beherrscht.

Die Personen tragen übergroße 30er-Jahre-Schildkröt-Puppenköpfe und damit sichtbar die Last einer Erziehung mit katholischem Voodoozauber auf den Schultern. Die Körper wirken unerwachsen, klein und zart. Kleidung, Text, Bewegung uneindeutig, Zwitterwesen der besonderen Art. Altklug-böse Kinder? Kindisch-böse Erwachsene?

Lautsprecher verkünden bessere Zeiten, eine neue Fabrik für den von Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Ort. Die Eingeborenen, die eben noch der frömmelnden Tourismuswerbung »In dem schönen Ort Maria Blut / Werden alle Schmerzen wieder gut« gelauscht haben, werden aufgefordert, in die »Raumkraft« zu investieren. Eine neue Idee des Pleitiers Schellbach, trotzdem wird man ihm trauen, denn »hinterm Schellbach steht der Bürgermeister, hinterm Bürgermeister der Dollfuß und hinterm Dollfuß steht der Papst«.

Die lange vergessene jüdische Schriftstellerin Maria Lazar (1895–1948), deren Erstlings-(Schlüssel-)Roman »Die Vergiftung« über ihre großbürgerliche Wiener Familie von Robert Musil Einfallsreichtum und »behende Kraft«, von Thomas Mann hingegen »penetranter Weibsgeruch« attestiert wurde, beendete ihre hellsichtige Beschreibung der österreichischen Variante des Klerikalfaschismus 1935 im dänischen Exil. »Die Eingeborenen von Maria Blut« erschien 1937 in der Moskauer Exilzeitschrift Das Wort, als Buch aber erst zehn Jahre nach ihrem Tod in der DDR.

Regisseurin Lucia Bihler hat die 30 Romanfiguren auf zwölf Personen und sechs Darsteller komprimiert. Das puppenhafte Dorfvolk (Masken: Mats Süthoff) wird, in Anlehnung an die expressionistische Vorlage, von zwei Schauspielern an der Rampe gesprochen, nur in den Individualszenen wird komplett agiert und die rosa Einheitskleidung um halbtransparente, personenbezogene Gummijacken, -kleider oder -schürzen ergänzt (Kostüme: ­Victoria Behr).

Verzweiflung und Verbitterung der Autorin sind dem Stück deutlich anzumerken. Hier ist kaum jemand sympathisch, nicht einmal der sozialdemokratische Arzt Lohmann (Philipp Hauß). Zunächst Opfer übelster Diffamierungen, später selbst Täter an seiner von ihm geschwängerten und zur Abtreibung gedrängten Angestellten Toni.

Für Toni (Stefanie Dvorak), die »Böhmin« mit der großen Angst, in die ihr unbekannte tschechische Heimat des Vaters abgeschoben zu werden, bringt Maria Lazar wenigstens Mitleid auf, ebenso für die in religiösem Wahn verzweifelnde Notburga und für Haushälterin Marischka (beide Lili Winderlich), die alles versucht, den kleinen Enkel des jüdischen Rechtsanwalts Meyer-Löw zu retten. Der selbst bleibt farblos; ich frage mich nur, wie Dorothee Hartingers Rücken und Knie die permanent gebückte Haltung aushalten.

Viele der in (sehr) kurzen, durch grelles Licht abgegrenzten Szenen auftretenden Stereotype könnten uns auch heute bekannt vorkommen. Robert Reinagl (durchaus komisch) als ewig angetrunkener Pfarrer, der vor allem bemerkt, dass Notburga »nicht einmal gut aussieht«, der Jungnazi (Jonas Hackmann) oder auch Stefanie Dvorak, die nicht nur die Erzählerin gibt, sondern auch eine charismatische politische Verführerin.

Meyer-Löw fasst das Stück auch für die aktuelle politische Situation, gerade in Österreich, zusammen: »Der Hass gegen die Vernunft ist älter als das Mittelalter. Weil nämlich die Menschen noch gar nicht erwachsen sind. Die Eingeborenen wollen ihren Messias haben.«