»Untenrum frei bis aufs Portemonnaie«

Neu, bewährt und tröstlich: Element of Crime mit dem Album »Morgens um vier« – Der kleinste meiner Teddys, mit blaukariertem Stoffkörper und roten Füßen, hieß Gantenbein und würde als Synonym für Kindheitserinnerungen gut zu dem Schokoladenhasen passen, den Sven Regener früher mal in sich hineinstopfte, »Weil du nicht da bist«. Dass ich als frühreifes Kind aber nicht nur Max Frisch, sondern auch Johannes Mario Simmel gelesen habe, kann ich jetzt endlich zugeben – wenn Element of Crime ihn und »Liebe ist nur ein Wort« zitieren, kann man nur noch drüber streiten, ob »Mich wundert, dass ich so fröhlich bin« nicht doch das bessere Buch ist.

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»Untenrum frei bis aufs Portemonnaie«
Neu, bewährt und tröstlich: Element of Crime mit dem Album »Morgens um vier«
Von Eileen Heerdegen

Der kleinste meiner Teddys, mit blaukariertem Stoffkörper und roten Füßen, hieß Gantenbein und würde als Synonym für Kindheitserinnerungen gut zu dem Schokoladenhasen passen, den Sven Regener früher mal in sich hineinstopfte, »Weil du nicht da bist«. Dass ich als frühreifes Kind aber nicht nur Max Frisch, sondern auch Johannes Mario Simmel gelesen habe, kann ich jetzt endlich zugeben – wenn Element of Crime ihn und »Liebe ist nur ein Wort« zitieren, kann man nur noch drüber streiten, ob »Mich wundert, dass ich so fröhlich bin« nicht doch das bessere Buch ist.

Es gibt Alben und Bands, bei denen schon der Debütnachfolger nervt, weil alles gleich klingt. Bei Element of Crime ist seit mindestens 1993 alles ähnlich, als die Gruppe mit »Weißes Papier« ihre zweite LP mit deutschen Texten und ihren ersten Charteinsteiger vorlegte. Aber wenn Sven Regener im mittlerweile zehnten Longplayer seit damals singt, »Auf dem Flohmarkt gibt es heute nur alten Plunder / Und der Chor der BVG singt dazu ein schönes Lied« (»Wieder Sonntag«), ist das neu und doch vertraut und tröstlich, wie die heißgeliebte Wolldecke, die es zu Weihnachten in einer anderen Farbe gibt.

Die neue Farbe bei »Morgens um vier« ist eher eine Nuance, dafür sehr soundprägend. Sven Regener ist momentan auch mit einem Jazzprojekt unterwegs. Das mag erklären, dass seine Trompete nun noch einmal prominenter eingesetzt wird. Sie klingt weich, voll, souverän. An der melodisch-melancholischen Musik, die zum Glück niemals fröhlich ist, hat sich so wenig geändert wie an Gesang und Texten. Grundhaltung: beobachtendes Zögern. Nichts kann viele (gerade ältere) Beziehungen, Unverständnis und unterschiedliche Wünsche besser beschreiben als der Opener »Unscharf mit Katze«: »… wir haben Bilder / Und auf meinem bist du, aber unscharf und du hältst eine Axt in den Händen / Und auf deinem bin ich mit einer Katze, und die sagt: Leute, wo soll das enden?«

Nur wenn Sven Regener seine Buddys aus dem Hut zaubert, verfliegt bei mir selbiger. Also nicht der Hut, sondern der Zauber. Egal, ob Leander Haußmann oder Herr Lehmann. Bei »Dann kommst du wieder« ist es Tobias Bamborschke. Hübscher junger Mann mit netten Löckchen unterm Kapperl. Macht sich im Video gut zwischen den älteren Herren. Doch der Frontmann von Isolation Berlin klingt im norddeutschen Element-Sound irgendwie, als habe man Günther Jauch engagiert.

Aber wer ein Meisterwerk wie »Am Ende denk ich immer nur an dich« geschaffen hat, kann sich meinetwegen so ziemlich alles erlauben. Regeners Textuniversum aus scheinbar zusammenhanglosen Bausteinen, schräg eingeordneten Beobachtungen und dem Akzeptieren allgemeinen Scheiterns ist speziell und einzigartig. Bei Verzweiflung kann es schon mal zum »Showdown im Sauerstoffzelt der Heilsarmee« kommen, und man findet sich im See wieder, »Im Wollpullover und untenrum frei bis aufs Portemonnaie«.

Durchgerutschte Banalitäten wie »Ein Lächeln von dir war schon immer Gottes größtes Wunder« werden sofort aufgefangen, denn »Wer braucht alte Sofas, wenn du nicht draufsitzt«. Wenn ein alter Polizist dir die Tür der Straßenbahn (zur Belohnung guter Taten?) noch offenhält, kann dann »Das Leben ohne Liebe ist nicht so einfach, wie du glaubst« läppisch klingen?

Und brauchen wir nicht alle Trost? »Irgendwann wird der Winter vergehen / Und auf dem Haus gegenüber wieder ein Storch einziehen / Und alle Kriege sind vorbei / Und alle Menschen frei / Und du und ich dabei.«