Adventskalender ohne Louis-Bag

Ferdinand und YUGO: Wiener HipHop aus zwei Welten

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Adventskalender ohne Louis-Bag
Ferdinand und YUGO: Wiener HipHop aus zwei Welten
Von Eileen Heerdegen

Pharrell Williams ist happy, er wird Kreativchef bei Louis ­Vuitton. Das Gros der Generation-Z-Konsumenten wird bei Preisen von über 3.000 Euro für einen Schlafanzug wohl eher nicht erreicht, aber grundsätzlich jubelt das Marketer-Fanzine Horizont, dass Werbung heute über Rap und HipHop läuft und gottseidank kein reines »Belästigungsobjekt« mehr ist. Und so stehen Capital Bra (»Die Bitches woll’n Sex, doch sind nicht mein Niveau«) und Kollege Haftbefehl mit ihren guten Namen niveauvoll für tote Tiere auf Tiefkühlpizza.

In Österreich wirbt man traditionell eher mit (Winter-)Sportlern. Dabei hat’s hier durchaus hippe Hopper. Den Ferdi aus Wien zum Beispiel, der schon als Left Boy international beachtet und erfolgreich war. Der Auch-New-Yorker hat es nicht nötig, sich für die Billa-Supermär zum Affen zu machen. Wahrscheinlich nicht mal für Louis Vuitton, auch wenn es im Opener seines aktuellen Albums heißt: »Baby, ich bezahl es / nimm es und wir gehen / eine Louis-Bag / eine Fendi-Bag / eine Prada / die ist wirklich schön« (»Ich bin back«). Ferdinand Sarnitz kann das, er ist studierter Tontechniker, und vor allem in künstlerischen Wohlstand hineingeboren – Papa André Heller wird den Buben sicher nicht allzu kurz halten. Aber Geld allein ist nicht schlimm, und wie man am Vater sieht, auch nicht zwingend eine Qualitäts- oder Kreativbremse.

Das Album »Ferdinand«, ein letztes Mal als Left Boy, kam 2018 als vielversprechender Mix aus ungewohnten Stilen – Balladen, Drumbeats, Indie-Pop. Alles neu zuletzt mit »Alles ist vergeben« – reduzierte, betont coole Songs, erstmals komplett auf deutsch. Aber mit 34 Jahren (und einem heranwachsenden Sohn) immer noch von Bitches und Babys zu singen, ist auch mit Selbstironie einfach zu wenig. Nach dem Labelwechsel hat er sich endlich häuten dürfen, der Boy ist weg, aber der Ferdi noch immer ohne Nachnamen. Ich muss da spontan an Gitte denken, die seinerzeit ihre Menschwerdung dadurch dokumentiert hat, dass sie irgendwann Gitte Haenning hieß. Also heißt es waiting for Mr. Sarnitz, bisweilen mit minimalistisch instrumentierten, jazzig angehauchten Songs, die nicht stören, wenn man auf einer New Yorker Dachterrasse sitzt und versucht, die Leichtigkeit des Seins auszuhalten.
Ob das funktioniert, kann ich nicht beurteilen, denn genau wie Udo Jürgens war ich noch niemals in New York. Apropos – das Ösinationalheiligtum im weißen Bademantel hat gleich zwei junge Musiker zu ihren Künstlernamen inspiriert: Shooting Star Voodoo Jürgens und den geheimtippigeren Jugo Ürdens. Aleksandar Simo­novski, Migrant mit mazedonischen und serbischen Wurzeln und mittlerweile Österreicher, hat allerdings den preisverdächtigen Namen abgelegt. Jetzt heißt er schlicht »YUGO«, passend zum gleichnamigen ersten Hit, eine witzige Werbenummer für den hässlichen jugoslawischen Kleinwagen (allerdings eher unentgeltlich, das Teil ist nur noch auf Schrottplätzen zu finden) mit ironisch-trotzigem Stolz – sozusagen die Antithese zu Haftbefehls »Gestern Monatskarte, heute Privatjet«.

Der 27jährige hat ein Wirtschaftsstudium gegen die Musik getauscht und inzwischen »Das Album, das schon 2020 erscheinen sollte« herausgebracht. Entspannte, aber auch tanzbare, meist drumbetonte Rhythmen plus intelligente Texte, nicht umsonst war Yugo schon mehrfach für den Amadeus Award nominiert. Dass »Motherfucker« und »Hurensohn« mindestens einen Auftritt haben, gehört zum Genre, eher untypisch ist die ehrliche und mutige Auseinandersetzung mit Erfolg und Scheitern: »A & Rs meinen, ich schreib keine Hits / zwei Jahre lang nix released, zwischen Höhen und Psychiatrie / ich geb mein ganzes Scheiß Leben nur für die Musik / Nur lieber Gott, bitte, will nie wieder kellnern.« Festzustellen, dass man bereits Teil der eigenen Diskriminierung geworden ist, ist groß und anrührend: »Ich schäme mich im Restaurant für meinen Vater / ich schäme mich immer bis rauf für meine Mama / denn man merkt ihn’n an, sie sind nicht von hier / ich bin von hier, falls mich jemand fragt / Mama, was ist ein Adventkalender?«