Der kleine Unterschied auf dem Regiestuhl

Evi Romen sollte Konzertpianistin und wollte Schriftstellerin werden. Dann verschlug es sie zum Film. Jahrzehntelang im Schnitt, aktuell mit ihrem zweiten Spielfilm in der immer-noch-Männerdomäne Regie: Happyland. (Ein Interview für den Wiener „Augustin“, Juni 2025)

Der kleine Unterschied auf dem Regiestuhl

Von Eileen Heerdegen

Evi Romen sollte Konzertpianistin und wollte Schriftstellerin werden. Dann verschlug es sie zum Film. Jahrzehntelang im Schnitt, aktuell mit ihrem zweiten Spielfilm in der immer-noch-Männerdomäne Regie: Happyland.

Die Indie-Rockband Kreisky hatte via Facebook Fans zu einem Tatort-Dreh geladen, und eh ich mich versah, war ich inmitten von Teenies in einer Art Zeitschleife – immer wieder der gleiche Song, Kameraeinstellungen von vorn, hinten, seitwärts; warten, jubeln, warten. Viele Stunden, alle überdreht und müde, zusammengehalten durch eine souveräne, gleichbleibend ruhige und freundliche Regisseurin, die sich auch kurzerhand mal an die große Kamera setzte: Evi Romen.

Vom Tatort zu Kommissar Zufall – für eine geplante Reportage über Kompars:innen ergab sich die Gelegenheit, beim Filmdreh zu Evi Romens «Happyland» in Kritzendorf als kleinstes Rädchen mitzuwirken, und auch hier wurde deutlich, dass die Handschrift der «Dirigentin» (Romen: «Die Instrumente zum Schwingen bringen») für guten Ton und viel Respekt sorgt.

Im Gespräch mit der gebürtigen Italienerin aus Bozen fällt mir auf, dass alle von mir für den «Augustin» Porträtierten – genau wie ich selbst – weder in Wien geboren noch hier aufgewachsen sind. Das passt zum «Augustin», es passt zur Stadt, und auch Evi Romens aktueller Spielfilm «Happyland» handelt, ebenso wie ihr Debüt «Hochwald» (2020), vom Weggehen, Zurückkommen, ankommen wollen, heimatlos sein – für sie generell eine wichtige Frage? 

Steinzeit an der Filmakademie.

«Heimat ist für jede:n Südtiroler:in ein Riesenthema, auch ich bin weggegangen mit unbestimmtem Ziel, bin hier in Wien hängen geblieben und habe selbst erfahren, wie es ist, wenn man nach Hause kommt; wie lange ein Zuhause eigentlich ein Zuhause ist. Rein statistisch bin ich längst Wienerin und diese Fragen sind nicht mit großen Schmerzen verbunden, aber sie beschäftigen mich sehr. Meine Geschichten beginnen immer mit kleinen Details, mit Gefühlen, bevor ich überhaupt an der Handlung und an den Charakteren arbeite.»

Es hat lange gedauert, bis die heute 57-Jährige ihre Geschichten erzählen kann. Laut „Dritter Österreichischer Film Gender Report“ des ÖFI (österreichisches film institut) ist der Frauenanteil im Kamerabereich von 2012 bis 2021 zwar nur von 10% auf 20% gestiegen, in der Regie aber scheint die Zukunft weiblich. 56% Nachwuchsregisseurinnen der Kinofilme mit Start 2020-2021 gegenüber allerdings immer noch nur 36% Frauen im Bereich der Etablierten-Spielfilme. 

Die Liebe zur filmischen Montage durch Zufall entdeckt, ging es für die junge Frau vom Konservatorium (Cello und Klavier) an die Wiener Filmakademie für ein Doppelstudium Kamera/Schnitt. «Als ich eine Kamera-Prüfung versemmelt hatte, sagte der Lehrer tröstend: ‹Wie willst du dich denn überhaupt in dieser harten Männerwelt durchsetzen, Mädel? Am Set rotzen und popeln wir, es ist derb, nichts für dich. Du studierst doch auch Schnitt, wenn man abends von einem harten Tag in den Schneiderraum kommt und dann sitzt da so was Liebes wie du, das ist schon gut.›» – «Das war 1989, also nicht Steinzeit», fügt Evi Romen hinzu.

Geldfragen in Happyland.

Sie bleibt tatsächlich bei der filmischen Montage, wird «Cutterin» oder «Editorin», die Begriffe ändern sich im Laufe der Jahre – ein klassischer Frauenberuf?

«Eigentlich ist der Schnitt ein sehr männerdominierter Beruf.  Im Zuge der industriellen Entwicklung wurden in den USA, aber auch in Italien, Maschinen, sogenannte Moviolas, eingesetzt, große Schneidetische, an denen im Stehen gearbeitet wurde. Im deutschsprachigen Raum gab es ein englisches System, das der Arbeit an einer Nähmaschine ähnelte, die Entwicklung hatte viel mit dem hiesigen Frauenbild zu tun. Die «Wienfilm», die großen ersten Studios, entstanden auf dem Gelände einer ehemaligen Näherei, da hat man einfach die Arbeiterinnen umgeschult. Die Männer haben vorgegeben, wo geschnitten und geklebt werden soll, die Arbeit der Frauen hatte nichts Künstlerisches, es war die Fortführung ihrer Näherinnentätigkeit. 

Die Kunstform des Schneidens hingegen hat etwas sehr Philosophisches, Filmschnitt ist ein intellektueller Beruf. Sehr musikalisch, man muss auf vielen Ebenen denken, viel über das Geschichten erzählen, über Psychologie wissen. Man ist der letzte Zensor vor dem Publikum und kann einen Regisseur auch ins Verderben stoßen.“

Das hat Evi Romen nicht getan, sie hat unter anderem die erfolgreichen Brenner-Filme geschnitten und ist für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden, für den Opernfilm «Casanova» sogar mit dem Österreichischen Filmpreis.

Und doch war es schwer, für «Happyland» die Finanzierung zu sichern. Die Gender-Studien der Filminstitute sind deutlich, nach einer Auswertung aus 2021 ging nur ein Drittel aller für Kino und TV zugesagten Fördermittel an Frauen.

Kunst und Kampf«Wir haben in der Filmbranche einiges erkämpft»

«Eigentlich ist mir das Regieführen oft zu wenig künstlerisch. Eine unglaubliche Verantwortung für Gelder, für das Team, für Sicherheit. Für diese Verantwortung und dafür, keine Scheu mehr zu haben, ins Rampenlicht zu treten, musste ich wohl so alt werden.» Auf meinen Einwurf, dass sie beim Team ein gutes Händchen bewiesen hat, mit loyalen Assistenten und klarer Ansage – die Regisseurin möchte das so – antwortet Evi Romen: «Und da sind wir genau bei dem kleinen Unterschied. Bei Frauen muss jemand eingreifen, bei Männern ist das selbstverständlich, da wird einfach gemacht. Wir haben in der Filmbranche einiges erkämpft. #WeDo ist eine Übergriff-Missbrauch-Stelle mit verpflichtenden Workshops. Da verdrehen erst alle die Augen – bei uns kommt so etwas nicht vor – dann bricht es aus den Leuten heraus, wird ihnen bewusst, wie viele Übergriffe tatsächlich passieren.» Und weiter:

«Ich habe viel Erfahrung, ich kann auch kämpfen und mich durchsetzen, trotzdem bleibt immer die Frage, wird man gehört, wird man gesehen? Meine kleine Tochter kam zu Besuch ans Set und lachte, ‹Mama, die haben erzählt, dass sie dir ein Leuchtband geben wollen, weil sie dich nie finden, weil du so klein bist.› Das ist natürlich lustig, aber ich frage mich, ob es nur um die Körpergröße geht.»