Tränen lügen nicht

Die US-amerikanische Band Spanish Love Songs mit neuem Album »No Joy«

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Tränen lügen nicht
Gebrochenes Handgelenk: Die US-amerikanische Band Spanish Love Songs mit neuem Album »No Joy«
Von Eileen Heerdegen

»It’s my Party and I cry if I want to!« – Wer das Leben so sieht, und es gibt gute Gründe, das Leben so zu sehen, könnte Spanish Love Songs mögen. Nicht jene Urlaubssehnsuchtsschlager, in denen behauptet wird, dass die Sonne auf einem Teil der iberischen Halbinsel bei Tag und Nacht scheine (obwohl das klimakatastrophenmäßig bald hinkommt), sondern Keyboarderin Meredith Van Woert, Gitarrist Kyle McAuley, Drummer Ruben Duarte, Bassist Trevor Dietrich und schließlich Texter und Frontmann mit Stimme und Gitarre Dylan Slocum, die mit diesem romantisch klingenden Bandnamen Sinn für Humor zeigen. »No Joy«, der Titel des neuen Albums der Gruppe, beschreibt präziser das Lebensgefühl der fünf aus Los Angeles.

»Spanische Lieder sind bekannt dafür, uns zu ermutigen und uns zu trösten. Sie haben einen Schwerpunkt auf der Liebe und der Freundschaft, was bedeutet, dass sie in schwierigen Zeiten Trost und Unterstützung bieten können.« Dieser holprige Text, ein Netzfund, über dem Frankfurter Allgemeine steht, in dem aber sicher bzw. hoffentlich nur Chat-GPT drin ist, ist so ziemlich die Antithese zu Slocums Texten.

»Bad day«, »Dying« – schon die Titel der ersten LP »Giant Sings the Blues« der 2014 gegründeten Band legen nahe, dass hier keine Schnulzen zu erwarten sind, auch wenn das 2018er Durchbruchsalbum ausgerechnet »Schmaltz« hieß. Traurig-wütende Geschichten zu gemäßigtem (Emo-)Punk. Gemäßigt vor allem, wenn man die Anfänge von Slocum als »­Screamo« betrachtet – verkürzt erklärt, einer schrubbt die Gitarre, ein anderer schreit. Darüber kann Slocum heute schmunzeln, mit seiner treibenden Stimme zwischen Brüchigkeit und Vibrato kann er mit den oft verstörenden Texten auch anders laut sein.

Laut und deutlich war die Abrechnung mit dem American Dream auf dem 2020 erschienen »Brave Faces Everyone« – »gute Miene zum bösen Spiel«. Genau das machen Spanish-Love-Songs nicht, Titel wie »­Routine Pain«, »Self-Destruction« oder »Losers« sprechen für sich und einer festen Fangemeinde aus der Seele, die vielleicht noch nicht beim »Macht kaputt, was euch kaputt macht« angelangt ist, aber die eigene Unzufriedenheit, Wut oder Verzweiflung benannt haben möchte. Oder wie es in »Marvel«, einem Song des neuen Albums heißt: »It’s so hard to find a sign when every ad says you’ll be fine.«

Wenn genius.com von Miesepeterrock spricht und Spanish Love Songs den Fans von »boxed wine, divorce and self-doubt«, also Packerl-Wein, Scheidung und Selbstzweifeln, empfiehlt, klingt das witzig, verkennt aber, dass sich nicht jede und jeder von einer Lebenshilfeindustrie einlullen lassen möchte. »Heul doch!«, mal freundlich gemeint, kann durchaus sinnvoll sein. Tränen lügen nicht.

Musikalisch waren Spanish Love Songs mit gefälligen Hooklines und Melodien nie so richtig Punk, auch das fürs Genre unübliche Keyboard prägte den eigenen Sound. Auf »No Joy« bekommt Meredith Van Woert deutlich mehr Raum, Synthieklänge erinnern an die glorreichen 80er, und wenn wir schon mal dabei sind, sogar Bruce Springsteen stand deutlich hörbar bei dem einen oder anderen Stück Pate.

Ein Autounfall, ein gebrochenes Handgelenk und ein gespaltener Schädel – »you’re okay?« Der Opener »­Lifers« führt surreal in das große Thema des Albums, Endlichkeit und Verlust. Auch konkret: in »Middle of Nine« ist es der Krebstod der Großmutter; den Unfall des Bruders, inklusive der absurden Situation im Rettungswagen, erzählt »I’m Gonna Miss Everything«. Bis zur vorletzten, der Nummer elf der LP, habe ich nicht gewusst, was »Exit Bags« sind. Man muss sehr verzweifelt sein, sich mit so einem Suizidplastikbeutel das Leben zu nehmen – zum Glück spielen die Lyrics hier nur mit dem Ende, Hoffnung nicht ausgeschlossen.

Slocums oft aufgeregt wirkender Gesangsstil, als müsse er schnell genug sein, alles sagen zu können, was wichtig ist, wirkt paradoxerweise auf Dauer ermüdend. Die Balladen und mehr Fokus auf Melodie und Akustik sorgen für Abwechslung, trotzdem bleibt der Eindruck eines anstrengenden Hörerlebnisses und selbst die durchaus guten Texte glitschen an mir ab, als sei ich aus Lackleder.

»No Joy« sei »like crying on the dancefloor«, so Slocum in einem Interview. Yeah, it’s your Party – leider nicht meine.