Das Beste kommt zum Schluss

Marc Almonds Tourfinale im Wiener Volkstheater

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Das Beste kommt zum Schluss
Marc Almonds Tourfinale im Wiener Volkstheater
Von Eileen Heerdegen

Geblendet vom Anblick der silbernen Frau im fischschuppenschillernden Kleid vergesse ich, ernsthaft drüber nachzudenken, die angebotenen Gratisohrstöpsel mitzunehmen. Der opulent gestaltete Zuschauerraum des Volkstheaters in Wien – am 2. April – stimmt mich wehmütig. Das im üppigen Historismus erbaute Haus ist schließlich die architektonische Schwester »meines« Hamburger Schauspielhauses – schönster Arbeitsplatz ever. Wenn Marc Almond später »Tears run rings around my eyes« singen wird, weine ich vielleicht zur Erinnerung ein bisschen mit. Warmes rotes Licht, dazu grelle kalt-blaue Strahler schaffen eine mystische Discoatmosphäre, ich bin bereit für die »Drama Queen«, den »Poptragöden«, bereit für gehobenes Schmalz und Pathos.

Erste Ernüchterung, weil unerwartet, der Supporting act Alex Lipinski. Ein Jeansboy mit Telecaster und Mundharmonika, irgendwie aus der Zeit gefallen, nicht meins, aber sicher gut. Ziemlich gut sogar, denn er ersetzt sehr kurzfristig den Gitarristen der Begleitband.

Und endlich! Ich habe lange genug auf diesen Auftritt gewartet. Vor 30 Jahren stand ich mindestens eine Stunde frierend in der Großen Freiheit vor einem Klub, in dem Mr. Almond dann doch nicht auftrat. Aber jetzt! Die unbarmherzigen kalten Strahler, die mich letztendlich abgehalten haben, ein Selfie zu machen, bleiben dem Publikum vorbehalten, der Star ist im dunkelroten Bühnenlicht kaum zu erkennen. Pilzkopffrisur, randlose, schmale Brille, Stiefelchen, langer Schal und schwarze Jeans, die zierliche Gestalt versinkt in einem unspektakulären Oversize-Cordsakko und einem viel zu lauten Klangbrei.

Ich verfluche die tauben Tontechniker, wünsche mir sehnlichst die Ohrstöpsel, halte mir schließlich ein Ohr zu: »The Stars We Are«, ein wunderbares Lied über die Vergänglichkeit, »we wanted an answer to our dreams«, zum Glück kann ich noch einen Teil davon erleben. Standing ovations von ein paar Enthusiasten aus den ersten Reihen, aber der Funke will nicht überspringen.

Marc Almond ist 65 Jahre alt (übrigens im selben Jahr geboren wie Falco), er hat Gewalterfahrungen in der Kindheit überlebt, Drogenexzesse und 2004 einen schweren Unfall plus Koma, 2020 dann Covid. Zuviel echtes Drama für eine Glamour Queen.

Es wird trotzdem ein schöner Abend mit einem immer noch hervorragenden und bestens gelaunten Sänger, einer sehr guten Band, einem stimmgewaltigen Backgroundkünstler und seiner beeindruckenden Kollegin, die sich bei Bedarf auch ans Piano setzen kann. Ohne Pause werden 23 Songs geboten – natürlich mein Favourite »Something’s Gotten Hold of My ­Heart«, »A Lover Spurned«, aber auch die 2020er-Ballade »Hollywood Forever«. Ein Cover von Rod McKuens »­Trashy« nur mit Schlagzeug und Kontrabass, auch »Purple Zone« mal nicht im Pet- Shop-Boys-Stampf, sondern sehr sentimental nur mit Klavierbegleitung: »Let’s get out of this life / I’m afraid and alone / Paralyzed in the purple zone.«

Ganz Brite schlägt Marc Almond am Schluss vor, für die Zugaben nicht extra die Bühne zu verlassen und wieder hineingeklatscht zu werden, sondern gleich weiterzumachen, und bringt endlich mit »Tainted Love« den gesamten Saal zum Tanzen. Der Bann ist gebrochen, die Silberne überreicht einen gigantischen Strauß, der sich während eines nicht enden wollenden »Say Hello, Wave Goodbye« in ein Rosenblättermeer verwandelt, verstreut auf Band und Publikum von einem weinenden, Kusshändchen werfenden Marc Almond. Also, wenn das kein Pathos ist!