Leinwand und Narbe

Pop wie Pop Art: Die schottische Band Bis mit »Systems Music for Home Defence«

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Leinwand und Narbe
Pop wie Pop Art: Die schottische Band Bis mit »Systems Music for Home Defence«
Von Eileen Heerdegen

Mord und Totschlag, Eier und anderes aus Stahl haben gerade Hochkonjunktur, was liegt da näher, als ein Lied über echte Männer, die Wale töten, zum Hit zu machen? Der schottische Briefträger Nathan Evans hätte für seinen Traum von einem Leben als Folksänger wahrlich aus dem Vollen schöpfen können – und sich nicht einer alten norwegischen Blut- und Tranhymne (»The Wellerman«) bedienen müssen. »Flower of Scotland«, das wär’s gewesen, aber sag mir, wo die Blumen sind.

Doch Scotland the Brave (ich oute mich als Pipes-and-Drums-Fan) hat auch musikalisch so viel zu bieten, dass Eintagsfliegen schnell vergessen sein werden. »Kandy Pop« quietschte sich bereits Mitte der 90er Jahre wie ein sängeringewordenes Anime-Girl in die Charts, und neben den dauerbrennenden Franz Ferdinand gehört die ebenfalls aus Glasgow stammende Amanda MacKinnon aka Manda Rin, gemeinsam mit den Brüdern Steven (Sci-Fi Steven) und John Clark (John Disco) tatsächlich bis heute zur vielfältigen schottischen Indieszene: die erste Band, die es ohne Plattenvertrag zu »Top of the Pops« schaffte, nach Irrungen und Wirrungen heute in Urbesetzung wieder »Bis«, für deutsche Suchmaschinen leider ein suboptimaler Name, der sich auf »black iron skyline« aus einem Song von The The bezieht.

Punk-Pop-Electronic-Dance-Synthie – mit ständig wechselnden Mehrheiten in ihrem wilden Mix aus 90er-Rave meets 70er-Jahre-Punk, den Talking Heads, Gary Numan, einer Prise B-52s, Devo und sogar Britpop waren Bis von Beginn an wenig schubladengeeignet, werden aber trotzdem gern als Indiepop gelabelt. Doch selbst, wenn manches oberflächlich fröhlich klingen mag, ist es niemals harmlos, eher Feel-good-Music für Fortgeschrittene und Pop wie Pop Art, Popliteratur oder übersetzt als Knall. So wie das derzeitige Corporate Design der Band, Schwarzweißästhetik mit lauten Magenta-Spots.

»Lucky Night« – mit Erasure meets Daft Punk startet das aktuelle, sechste Studioalbum, »Systems Music for Home Defence«. Statt dem frühen wütenden »Kill Yr Boyfriend« ist textlich Abgeklärtheit und Zynismus eingekehrt: »When a boy walks up to me and he says, Patriarchy is a bad scene, baby I’m the vaccine, it’s your lucky night«, ja klar, dann glaubt frau dem pseudo-aufgeklärten Gelaber und fühlt sich auserwählt. Manda klingt heute erwachsener (schließlich ist sie mittlerweile selbst Mom of »Pests«, also Nervensägen, wie sie selbst sagt), ist aber glücklicherweise gemäß der einst von Bis proklamierten »Teen-C Nation« mit der Forderung nach (unter anderem) ewiger Jugend ein kiebiges Riot Grrrl geblieben. Doch eins mit Erfahrungen, eins, das sein Herz nun außen trägt – »Shopping for Tattoos« – wir sind uns Leinwand und Narbe zugleich. Und außerdem, »(I Don’t Think We’re) Falling In Love«: »We can’t remember how it ended but it started in tears.« Das ist very british, vor allem mit dem Zusatz: »Don’t ask the members of this band, we’re always perfectly wrong.« Ich mag das, auch wenn ich die Deutlichkeit der frühen Texte ein bisschen vermisse.

Wütend ist das Trio immer noch, der Brexit, »the rising costs of failure«, und statt Tokyo nur noch Auftritte daheim in Glasgow (»Irrelevant Disco«), aber die Teen-C Power, »This could be the start of it all / We all want the system to fall / Get it right down on its knees / ’Cos we were born in the 70’s« oder Ausbrüche wie etwa gegen den »Public school boy«, den Privatschulschnösel, der bitte abkratzen soll, sind vom Leben abgeschliffen worden.

Zum Stichwort »Home Defence« spuckt Google mir über eine Million Ergebnisse aus. Statt bei miesem Wetter den letzten Walen aufzulauern, kann man gemütlich mit einer Glock auf Eindringlinge warten. Imagine! – Musik ist nicht die schlechteste Alternative.