Alter Brecht wird wieder jung

Spätestens seit Lady Di wissen wir, dass Prinzen nicht immer die Rettung sind. Die Seeräuber-Jenny, Schutzpatronin aller dauergedemütigten Frauen, war schlau und hat gleich auf die Outlaws gesetzt. Die Hoffnung, die Rachephantasie, das hat mich immer fasziniert. Zeitlos und modern, auch wenn es in den Häfen längst keine Segelschiffe mehr gibt. »Welchen sollen wir töten« – »Alle«! Sollte das pathetisch und wütend angelegt werden? Oder könnte das »Hoppla« (wenn der Kopf rollt) nicht einfach völlig gelangweilt daherkommen?

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Alter Brecht wird wieder jung
»Die Dreigroschenoper« als intelligente Revue im Hamburger St.-Pauli-Theater
Von Eileen Heerdegen

Spätestens seit Lady Di wissen wir, dass Prinzen nicht immer die Rettung sind. Die Seeräuber-Jenny, Schutzpatronin aller dauergedemütigten Frauen, war schlau und hat gleich auf die Outlaws gesetzt. Die Hoffnung, die Rachephantasie, das hat mich immer fasziniert. Zeitlos und modern, auch wenn es in den Häfen längst keine Segelschiffe mehr gibt. »Welchen sollen wir töten« – »Alle«! Sollte das pathetisch und wütend angelegt werden? Oder könnte das »Hoppla« (wenn der Kopf rollt) nicht einfach völlig gelangweilt daherkommen?

Gelangweilt – das wird bei der Premiere am 14. Januar schnell klar – ist hier nichts und niemand. Die aktuelle Inszenierung der Dreigroschenoper am Hamburger St.-Pauli-Theater ist eine bunte Revue, die wie die Faust aufs Auge zum Kiez mit seinen Widersprüchen passt. Die Doyenne der Hamburger Bühnen (eine der ältesten der Republik) mit ihrem schnörkeligen Zuschauerraum und 533 Plätzen hat hier seit 1841 zunächst derbe Schwänke, später Star-besetztes Boulevardtheater geboten. Wie eine Drohung liegt direkt nebenan die berühmte Davidwache, die Adresse Spielbudenplatz klingt nach Spaß und weniger eindeutig als die der anderen Straßenseite, die zur Reeperbahn gehört.

Die ist morgens um zehn an einem stürmischen, verregneten Januartag keine »geile Meile«, sondern ein zutiefst trostloser Ort mit Kotzeresten auf der Straße und ausgedehnten Schlaflagern von Obdachlosen, die vor den Läden, die Corona nicht überlebt haben, ein paar Zentimeter Dach über dem Kopf gefunden haben. Sogar die Polizeiwagen der legendären Wache stehen arbeitslos aufgereiht vor dem Theater.

Gustav Peter Wöhler ist erkältet und steckt mitten in den Endproben, hat sich aber trotzdem Zeit genommen. Er arbeitet gern hier, lobt die »wunderbare familiäre Atmosphäre« (wie ich selbst weiß, ganz und gar nicht die Norm) und das großartige Ensemble. »Riesig gefreut« hat er sich, dass Michael Rotschopf den Mackie Messer spielt. Der österreichische Schauspieler, der schon an der Burg, in Bochum, München und allen großen deutschsprachigen Theatern gespielt hat, sei außerdem ein »sehr hilfsbereiter und anständiger Kollege«. Genau diese Tugenden sind dem Jonathan Jeremiah Peachum völlig fremd – Gustav verkörpert im Stück diesen Zuhälter der besonderen Art, dessen Geschäftsmodell eine Art Zwangsmanagement und Marketing für das große Heer der Londoner Bettler ist.

95 Jahre alte Kapitalismuskritik, und doch ist die »Dreigroschenoper« irgendwie nicht totzukriegen. Ganz im Gegenteil – bis heute ist sie eines der meistaufgeführten deutschen Bühnenwerke. Bertolt Brecht hatte aber bald den Verdacht, dass den Erfolg all das ausmacht, »worauf es mir nicht ankam: die romantische Handlung, die Liebesgeschichte, das Musikalische. (…)« In der Tat waren es von Beginn an die Songs, die Karriere machten. Gustav Peter Wöhler: »Kurt Weill, das ist ein wirklich interessanter, ein großartiger Komponist. Aber wenn du die Lieder der ›Dreigroschenoper‹ reduzierst, sind das eigentlich Schlager, die halt hier und da mal einen queren Ton haben. Nimmt man das heraus (er singt ›Und der Haifisch …‹ im typischen Schlagersound), wird’s deutlich: Dazu kannst du tanzen, kannst du lustig sein, kannst du Sekt trinken.«

Auch die Kritik von Hannah Ahrendt – »Das einzige politische Ergebnis des Stückes war, dass jedermann ermutigt wurde, die unbequeme Maske der Heuchelei fallen zu lassen und offen die Maßstäbe des Pöbels zu übernehmen« – hält er für sehr berechtigt, ihn stört »diese Gemütlichkeit«, die das Stück bekommen hat. »Ich weigere mich einfach, den politischen Aspekt auszulassen. Ich singe diese Texte, und ›erst kommt das Fressen, dann die Moral‹, das ist stimmig. Wir kümmern uns nicht um den moralischen Aspekt, dafür zu sorgen, dass alle genug bekommen, um zu überleben. Und ›was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank‹, ist das etwa nicht aktuell?«

Also warum nicht den eindeutigen Texten den Rahmen geben, den das Publikum liebt? Auch wenn Brecht es später anders sah, gibt es deutliche Hinweise, dass es bei der Uraufführung 1928, die unter chaotischen Verhältnissen, am Ende einer Reihe von Hindernissen nach nur vier Wochen Probezeit stattfand, weniger um den erhobenen Zeigefinger und mehr um einen anarchischen Spaß ging.

Möglicherweise bekommt man also in der aktuellen Inszenierung (Regie: Peter Jordan/Leonhard Koppelmann) eine ziemlich originale Fassung des Stückes zu sehen. Eine Revue mit begeisternden Tänzern und Fokus auf die Musik, aber trotzdem episches Brecht-Theater – eine Feier der Widersprüche.

Michael Rotschopf ist ein hervorragender Mackie Messer, Musicalstar Anneke Schwabe als Polly genau die Ehefrau, die er verdient. Immer auf den eigenen Vorteil bedacht, eine geniale Schlampe im Zickenkrieg mit ihrer Nebenbuhlerin Lucy, die von Victoria Fleer als wunderbar blöde Kuh gegeben wird. Stephan Schad beweist sich vielseitig als Moritatensänger, Bettler und Polizeichef Tiger Brown, Nadja Petri überzeugt als kühl berechnende Spelunken-Jenny. Die Firma »Bettlers Freund« wird von Anne Weber, einer stimmgewaltigen und kühlen Mrs. Peachum, professionell geführt, die auch ihren Gatten fest im Griff hat. Gustav Peter Wöhler, mit starker Stimme, ist ein grandioser, mal verlogener, mal böser Chef und Vater und schafft es, kleine Momente von großer Zartheit als gedemütigter, verspotteter Ehemann aufblitzen zu lassen. Insgesamt große Spielfreude, ein wunderbares Orchester – alter Brecht wird wieder jung!