„Der Mann liebt den Tod“

Mordende Barbarellas: Das Theaterstück »Rote Sonne« im Wiener Volx

https://www.jungewelt.de/artikel/438400.theater-der-mann-liebt-den-tod.html

Der grüne Veltliner von der Bar im Volx, der Dependance des Wiener Volkstheaters, schmeckt so schwer und ölig, dass ich annehme, die Doppelliterflasche, aus der er stammt, ist aus dem Entstehungsjahr des Films »Rote Sonne«, nämlich 1970, und war vielleicht Bestandteil eines Rechtevergabepakets.

Die Schauspielfassung bedient sich mit dem Film von Rudolf Thome einer Vorlage aus der Zeit der deutschen Nouvelle Vague, aus der später mal das Autorenkino entstehen sollte. Cineastische Gustostückerln, die manchmal recht komisch, wie etwa Rosa von Praunheims »Die Bettwurst« (1971), und meist zumindest recht schräg daherkommen, was Inhalt, Ästhetik, Darstellung, Sprache oder auch Kameraführung betrifft.

»Es wird a Wein sein, und mir wer’n nimmer sein«, grad wie es in dem berühmten Heurigen-Gassenhauer angedeutet wird, geht es bei Thome, also auch hier und heute in diesem Theater, um den Tod. Aber: »’S wird schöne Maderln geb’n, und wir wer’n nimmer leb’n«, die alte Weise bringt es auf den Punkt. Denn nicht das bestellte warme Geschloder ist direkt lebensverkürzend, sondern vier junge Damen im 60er/70er-Jahre-Chic, die keineswegs nur im übertragenen Sinn männermordende Vamps sind.

Und schon geht es los. Thomas (Frank Willens) und Peggy (Anna Rieser) beginnen an der Theke, inmitten der Besucher, ihren etwas hölzernen Dialog. Vielleicht ein bisschen sehr spontan, viele haben es noch gar nicht mitbekommen, aber schon folgen die Herdentriebler der sich aus der Bar schiebenden Menge. Bespielt wird das gesamte Gebäude, zunächst verlagert sich das Geschehen in den unteren großen Theatersaal. Das Publikum kann dort oder auf der Balustrade Platz nehmen, auf Stühlen, Sesseln, Sofalehnen oder auch auf einem Bett. Thomas und Peggy verbringen die Nacht miteinander, danach lernen wir auch die anderen WG-Bewohnerinnen kennen (Evi Kehrstephan, Magdalena Simmel, Runa Schymanski). In silbernen Barbarella-Stiefelchen durchschreiten die Damen den Raum und gruppieren Zuschauer um.

Die bösen Mädchen töten jeden Liebhaber nach fünf Tagen, Peggy möchte Thomas retten, der aber leider überhaupt nichts versteht. »Der Mann liebt den Tod, er erregt ihn sexuell, und da er innerlich schon tot ist, möchte er sterben.« Immer wieder werden Zitate aus dem »SCUM-Manifesto« von Valerie Solanas (Manifest der Gesellschaft zur Zerstörung der Männer, ca. 1965) gesprochen und an Wände projiziert, die Darstellerinnen lassen sich Parolen vom Publikum auf den Körper malen.

Doch es verschwinden nicht nur die Grenzen zwischen Bühne und Auditorium, mehrfach wird das Spiel durch Diskussionen über den Film und Inhalt unterbrochen. Kurze Momente, in denen die Schauspielerinnen aus dem Korsett der plakativen Seelenlosigkeit ausbrechen dürfen, trotzdem bleibt das Spiel unspektakulär. Das gilt auch für Frank Willens, der allerdings mit einer grandiosen Szene punkten kann: Während er von den Frauen gewaltsam nackt ausgezogen wird, schafft er es, allein durch seine Körperspannung, ein sich steigerndes Gefühl von Verärgerung bis Todesangst auszudrücken. Vielleicht war genau das der Grund für die Regisseurin Christine Gaigg, die Rolle mit einem Tänzer zu besetzen.

Doch das Aufregendste an dieser Aufführung ist sicher die ekstatische, eine ständige Bedrohung aufbauende und aufrechterhaltende Musik (Peter Plessas nach Bernhard Gander), die von einem DJ-Trio (Dominik Förtsch, Noemi Haffner und Nava Hemyari) genial umgesetzt wird.

Im Gegensatz zum Film gibt es am Ende weder den blutroten Sonnenaufgang am See noch das blutige Liebespaar davor. Der Volx-Thomas, frisch gebadet und im weißen Leinenanzug, stürmt mit einem Fläschchen Schampus die Bar und möglicherweise endlich auch die Frauenherzen.

Dem Publikum hat es gefallen, es gibt viel Applaus. Wer sich fragt, warum das Stück »Rote Sonne« heißt, kann das nachlesen (gern geschehen) und damit die alte Wahrheit bestätigen, dass Theater niemals dümmer macht. Und wer sich dann noch mit Valerie Solanas beschäftigen möchte, wird an Andy Warhol nicht vorbeikommen und angesichts seiner Prophezeiung »In Zukunft wird jeder 15 Minuten weltberühmt sein« endgültig ahnen, dass das Leben immer noch die besten Stücke schreibt.