Ostbahn-Kurti kehrt heim

Mein Beitrag zum Abschied von Willi Resetarits auf dem Wiener Zentralfriedhof.

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Ostbahn-Kurti kehrt heim
Abschied von Willi Resetarits in Wien
Von Eileen Heerdegen

»This is the end«, singt Jim Morrisson. Das Ende der 71er Bim, oder auch »Tramway«, wie der Willi gesagt hätte, ist die Haltestelle an der Justizanstalt Simmering, genau 44 Minuten nach Start an der Börse. Diese Direktverbindung wünscht man so manchem, der dort die Fäden zieht. Kurz davor der Stopp »Leberberg«. Freunde, die sich dort für eine konkurrenzlos günstige Wohnung interessierten, nahmen schon vor der Besichtigung Abstand – auf der Straße versuchten zwei (weiße) Männer offenbar einen (schwarzen) Mann mit einem Kabel zu erdrosseln, die Polizei nahm kurzerhand nur das (schwarze) Opfer mit. Doch weder Knast noch Leberberg bedeuten wirklich das Ende – das liegt zwischen den Minuten 35 und 39 hinter den vier Toren des Wiener Zentralfriedhofs.
Hinter Tor Nummer 2 in Halle 2 liegt heute, am 7. Mai, der Willi – Wiener Musiker, Sänger, Menschenrechtsaktivist. Als Ostbahn-Kurti heimgekehrt ins proletarische Simmering, den 11. Wiener Bezirk, wo am 29. Juni 1991 der Kurtl mit einem Marathonkonzert (52 Songs!) vor 13.000 Fans am Ostbahn-XI-Platz (der Rasen eines traditionsreichen Unterligavereins) endgültig zum legendären Alter ego des Willi Resetarits wurde. Privat war der Willi zuerst im Arbeiterbezirk Favoriten und später im ebenfalls proletarisch geprägten Floridsdorf, in der Nähe der alten Donau, zu Hause. Dort, wo es die Arbeiterstrandbadstraße gibt und die Romawiese, wo Menschen aller Kulturen Wiens umsonst zum Picknicken und Flussbaden zusammenkommen, und wo die einfachen Häuser stehen, von denen sich auch die Arbeiterfamilie Resetarits in den 60ern selbst eins bauen konnte. Am 24. April verunglückte Willi Resetarits dort tödlich bei einem Treppensturz.

In gerader Linie hinter dem Haupteingangstor Nummer 2 an der Simmeringer Hauptstraße steht fast drohend die Friedhofskirche, ein pompöses Zeugnis Wiener Jugendstils. Früher Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche. Lueger, Wiener Bürgermeister von 1897 bis 1910, ein Sinnbild des Illiberalismus und des Antisemitismus. Ein absoluter Gegenpart zu all dem, was Willi Resetarits ausgemacht hat. Aber auch die meisten der heutigen Politiker sind weit entfernt von Willis Idealen. Beispielsweise der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der es immer wieder kategorisch abgelehnt hat, wenigstens 100 Flüchtlingskinder aus dem Dreckloch Moria aufzunehmen. Ausgerechnet der zeigt sich nun der Presse gegenüber »erschüttert« vom Tod eines Mannes, dessen ganz großes Anliegen es war, Menschen, die aus der Hölle kommen, ein Leben und ein Zuhause zu geben.

Das letzte Mal stand ich hier Ende August 2021, als Willis langjähriger Wegbegleiter Ernst Molden im Rahmen des Wiener Kultursommers gemeinsam mit Hans Theessink ein Konzert auf einem Doppeldeckerbus vor dieser besonderen Kulisse in der morbide angehauchten Abenddämmerung gab. So hätte ich mir den Abschied von Willi gewünscht. Ein bisschen Jaques Brel und ganz viel Wienerlied, »Wann i amal stirb, müssn mi Fiaker trag’n, und dabei Zithern schlag’n, weil i das liab, spielt’s an Tanz laut und hell, allweil fidel!«

In der großen Halle 2 wirkt der schlichte Sarg einsam, tröstlich die vier Wegbegleiter, die dem Verstorbenen zur Seite stehen. Die vielen Fans – morgens hatten sich sogar Schlangen gebildet – machen ebenfalls einen verlorenen Eindruck. Der Willi war niemand, der Abstand hielt, er war immer nah an den Menschen, und nun so weit weg. Die leise Streicherversion von »Wann die Musik vuabei ist« lässt den Kloß im Hals immer dicker werden. Mein letzter Gruß sind eine rote Nelke und Maiglöckerln für die Seele.

Jetzt kann ich weitergehen, zumal ich noch zwei Blümchen zu vergeben habe. Eine von mir, eine von der jungen Welt, beide für Karl Kraus. Der liegt am Rand des alten jüdischen Friedhofsteils unter einem sehr kantigen, nicht besonders gefällig wirkenden Stein. Passt wahrscheinlich zu dem Eigenbrötler und erbitterten Pazifisten, der uns mit der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit« (1915–1922) die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges beschrieben hat, an der sich bis heute nichts, aber auch gar nichts geändert hat.

»This ist the end« – Jim Morrissons Grab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise ist dank unzähliger Hinweis-Graffitis leicht zu finden. Der Zentralfriedhof Wien hat eine moderne Datenbank. Wer ein Smartphone und eine Netzverbindung hat, wird Willi Resetarits später problemlos besuchen können. Aber wo wird er sein? »Above us only sky«? Ich wünsche mir, dass das noch nicht alles gewesen ist.